"Im Studio nahm Jimi kaum Drogen"


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Ein Interview von Alex Gernandt


 

 

Zur Person

Chris Lopez
Eddie Kramer wurde 1941 in Kapstadt, Südafrika, als Sohn eines Engländers und einer Südafrikanerin geboren. Er studierte am South African College of Music. 1960 zog er nach London, wo er in diversen Tonstudios arbeitete. Bekanntheit erlangte er als Tontechniker und Produzent von Jimi Hendrix, The Beatles, The Rolling Stones, Led Zeppelin, David Bowie, Santana und KISS. 1969 war er beim Woodstock-Festival für die Liveaufnahmen verantwortlich. 1970 wurde Kramer von Jimi Hendrix als Leiter von dessen neueröffneten Electric Lady Studios in New York engagiert, wenig später starb Hendrix in London. Kramer kümmert sich seither um das musikalische Erbe des Ausnahmegitarristen. 

einestages: Herr Kramer, als Toningenieur haben Sie von 1967 und bis zu seinem Tod 1970 an allen Hendrix-Alben mitgearbeitet. Wer war Jimi Hendrix für Sie?

Eddie Kramer: Ein Genie. Für mich war es ein Privileg, dieselbe Luft zu atmen wie er. Über die Jahre habe ich im Studio mit Größen wie Led Zeppelin, den Beatles, den Stones, Santana, Joe Cocker, KISS und David Bowie gearbeitet - aber Jimi ist eine Klasse für sich.

einestages: Was war das Geheimnis seines Erfolgs?

Kramer: Seine Vielseitigkeit und Neugier. Jimi wohnte eine Zeit lang in New York, im berühmten Dakota House am Central Park, in dem später auch John Lennon und Yoko Ono lebten. Ich staunte, dass sich im Apartment neben Blues-Scheiben auch Platten von Händel, Bach und Beethoven stapelten.

einestages: Wie lernten Sie sich kennen?

Kramer: Ich war ein junger Toningenieur in den Olympic Studios in London. Im Januar 1967 rief mich die Rezeptionistin an, hier sei ein Typ mit beeindruckendem Afro, der Songs aufnehmen wolle. Damals hatte Jimi bereits mit "Hey Joe" und "The Wind Cries Mary" für Furore gesorgt. Ich sehe ihn noch in einem hellen Regenmantel vor mir sitzen, es war ein extrem kalter Wintertag. Dann kam sein Equipment, die Verstärker bauten wir gemeinsam auf. Als er seine Gitarre einstöpselte und loslegte, stockte mir der Atem, es war, als zuckte ein Stromschlag durch meinen Körper.




 

einestages: Produzent war damals Chas Chandler, noch kurz zuvor Bassist bei The Animals.

Kramer: Ja, er hatte ihn in Greenwich Village im "Café Wha?" gesehen und war begeistert. Damals nannte sich Jimi als Künstler noch Jimmy James. Seine Gruppe The Blue Flames war die Hausband des Cafés. Chandler holte Jimi im Herbst 1966 nach London, damals die Musikmetropole. Er ließ ihn bei sich wohnen und bat ihn, unter seinem eigenen Namen Jimi Hendrix aufzutreten. Dann brachte er ihn mit Drummer Mitch Mitchell und Basser Noel Redding zusammen - die drei wurden zur Jimi Hendrix Experience. Anfangs spielten sie nur Coverversionen, doch Chas ermutigte Jimi, eigene Stücke zu schreiben. Im Studio haben wir viel experimentiert, Chandler sagte: "Es gibt eine Regel: Keine Regeln!" Und das hat Jimis Sound letztendlich ausgemacht, er hat damit die Welt verändert.

einestages: Sänger Eric Burdon, Chandlers Bandkollege bei The Animals, erinnerte sich im Interview mit SPIEGEL ONLINE, wie er Jimi erstmals spielen hörte. Es hat ihn weggeblasen.

Kramer: So wie jeden, der ihn erlebte. Jimi hat die größten Könner, etwa Jeff Beck, Jimmy Page oder Carlos Santana, eingeschüchtert. Als er als Gaststar mit Eric Clapton und Cream auf der Bühne stand, musste sich Clapton erst mal hinsetzen - und meinte: "Ich glaube, ich kann nicht Gitarre spielen."

einestages: Legendär war auch Hendrix' Auftritt 1967 im Londoner Saville Theatre.

Kramer: Beatles-Manager Brian Epstein betrieb das Theater. Das Konzert der Experience fand kurz vor Veröffentlichung des "Sergeant Pepper"-Albums statt. Paul McCartney und George Harrison saßen im Publikum. Jimi hatte sich für sie einen besonderen Gag ausgedacht - und spielte überraschend das Stück "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", das eigentlich noch keiner kennen konnte.

einestages: Woher kannte er es?

Kramer: Jimi hatte kurz vorm Auftritt ein Vorabtape mit dem Song bekommen und studierte es mit seiner Band backstage blitzschnell ein. Dann eröffneten sie das Konzert mit "Sgt. Pepper". McCartney und Harrison fiel die Kinnlade runter, sie trauten ihren Ohren kaum. George Harrison meinte zu McCartney: "Ich glaube, wir müssen noch mal zurück ins Studio. Hörst du diesen irren Gitarrensound?"

einestages: In den USA hatte Hendrix zuvor als Mietmusiker bei Curtis Knight, Little Richard und den Isley Brothers gespielt. War sein Gitarrensound damals schon so außergewöhnlich?

Kramer: Nein, denn er durfte den Künstlern nicht die Show stehlen. Er hatte damit zunächst kein Problem, aber immer wenn er auf der Bühne zu viel Gas gab, wurde er von den Stars zurückgepfiffen. Das hat ihn irgendwann frustriert und war der Grund, es solo zu versuchen.

einestages: 1969 wurden Sie beauftragt, die Liveaufnahmen beim Woodstock-Festival zu machen, wo auch Hendrix auftrat.

Kramer: Ich war dort mit meinem Achtspur-Tonbandgerät. Drei unvergessliche Tage voller Rock'n'Roll und Drogen. Woodstock wurde Jimis Sternstunde! Seine abgespacete Version des "Star Spangled Banner" haute alle um. Jimi hat sich kaum politisch geäußert - aber diese unglaubliche Version der US-Nationalhymne war sein Aufschrei gegen den sinnlosen Vietnamkrieg.

einestages: Wie lief die Zusammenarbeit mit Hendrix im Studio?

Kramer: Wir hatten großen Spaß, Jimi war ein spielerischer, entspannter Typ, manchmal etwas verrückt, er machte gern seine Späße. Aber bei den Aufnahmen war er stets ehrgeizig und diszipliniert. Und was viele wundern wird: Er hielt sich für einen der schlechtesten Sänger der Welt!

einestages: Welche Rolle spielten Drogen?

Kramer: Na ja, damals in den Sechzigern waren alle drauf, ist ja kein Geheimnis. Aber im Studio nahm Jimi kaum Drogen, höchstens mal Gras. Er war ein Perfektionist, er wollte gute Musik abliefern - und dazu brauchte er einen klaren Kopf.

einestages: Oft wurde Hendrix als introvertiert beschrieben. Trifft das zu?

Kramer: Ja und nein. Jimi schwebte sicher oft in anderen Sphären, aber er liebte es, eine Entourage um sich zu haben. Eines Abends spielte er einen Gig im Liveclub The Scene in Manhattan, danach zog er nachts um zwei mit 20 Freundinnen und Freunden weiter ins Studio. Dort wurde weitergejammt. Jimi konnte nicht genug bekommen. Er liebte es, für Leute zu spielen. Das war sein Leben.

einestages: War die Entourage auch bei den Aufnahmen im Studio dabei?

Kramer: Anfangs ja. Jimi mochte Partyatmosphäre bei der Arbeit. Aber irgendwann war Produzent Chandler total genervt und ließ alle rauswerfen. Als sie immer wiederkamen, warf er das Handtuch und beendete von heute auf morgen die Zusammenarbeit mit Hendrix. Das war direkt nach dem "Electric Ladyland"-Album.

einestages: Apropos "Electric Ladyland". Das Plattencover zieren 19 splitternackte Models. Hendrix' Idee?

Kramer: Im Gegenteil! Jimi war entsetzt, als er den Entwurf zu Gesicht bekam. Er fand das würdelos, es entsprach in keinster Weise seiner Vision von Kunst. Die Plattenfirma wollte dadurch Aufmerksamkeit generieren - als ob das bei Jimi Hendrix nötig gewesen wäre (schüttelt den Kopf). Er setzte dann eine zweite Version des Albumcovers durch, mit seinem Konterfei vorn drauf.

einestages: Dennoch - Hendrix liebte die Frauen und die Frauen ihn!

Kramer: Frauen fielen regelrecht über ihn her und ihm hat's gefallen. Jimi war sehr charmant, kein Chauvinist, sondern ein Gentleman, der Damen in den Mantel half. Er ließ sich lieber verführen, als selbst die Initiative zu ergreifen. Es war wie in seinem berühmten Song: "Foxy lady, I won't do you no harm."

einestages: So zurückhaltend er auch war - es scheint, er wusste sich doch zu verkaufen?

Kramer: Er hatte einen ausgeprägten Sinn fürs Geschäft. Merchandise war ihm wichtig, es gab T-Shirts mit seinem Konterfei, Gürtelschnallen und Ähnliches. Heute wäre Hendrix ein Musikmogul wie Jay-Z mit eigenem Musik- und Modelabel und einer Filmfirma. Aber viel cooler (lacht).

einestages: Immerhin war er der erste Musiker mit eigenem Aufnahmestudio. Ihre Idee?

Kramer: Ja. Ursprünglich wollte er einen Club kaufen, damit er auftreten konnte, wann er Lust hatte. Ich sagte: "Deine Studiokosten liegen bei 300.000 Dollar im Jahr, das ist Wahnsinn. Lass uns lieber ein eigenes Studio bauen, das beste der Welt." Er war begeistert, und so entstanden für eine Million Dollar die Electric Lady Studios in New York. Jimi war damals der höchstbezahlte Musiker der Welt.

einestages: Die Eröffnung fand Ende August 1970 statt, nur drei Wochen später starb Jimi Hendrix.

Kramer: Tragisch. Er konnte die Studios selbst kaum nutzen. Das letzte Stück, das wir dort aufnahmen, hieß "Power of Soul" und war vorgesehen für das kommende Album "Cry of Love". Jimi und ich haben den Song noch gemeinsam abgemischt. Er ist nun auf dem neuen Album "Both Sides of the Sky" zu hören.

einestages: Als Hendrix am 18. September 1970 starb, standen die Rolling Stones in der Kölner Sporthalle auf der Bühne und widmeten die Show ihrem Freund Jimi.

Kramer: Eine schöne Geste, das wusste ich gar nicht. Sie standen sich auch wirklich nah. Für mich war das ein rabenschwarzer Tag. Ich war in New York, als ich ins Electric Lady Studio kam, waren alle schockiert. Aber Jimi lebte nach dem Motto: "The show must go on". Und nach zwei Monaten Trauer konnte ich das beherzigen.

einestages: Zusammen mit Hendrix' Schwester Janie pflegen Sie sein Andenken und veröffentlichen fortwährend bisher unbekannte Aufnahmen.

Kramer: Auf der neuen Platte "Both Sides of the Sky" gibt es Jimis letzte unveröffentlichte Stücke aus den Jahren 1968 bis 1970, darunter Studioaufnahmen mit der Band of Gypsys, Drummer Buddy Miles und Bassist Billy Cox, die so noch niemand gehört hat, etwa "Lover Man", "Woodstock" und "20 Dollar Fine" mit Stephen Stills, "Things I Used to Do" mit Johnny Winter oder "Mannish Boy" von Muddy Waters. Damit sind nun alle Studioaufnahmen, die Hendrix in seinem Leben je gemacht hat, veröffentlicht.

einestages: Hendrix war berühmt für seine Bühneneskapaden. Stimmt es, dass er irgendwann auf der Bühne nicht mehr den wilden Mann markieren, sondern sich auf die Musik konzentrieren wollte?

Kramer: Ja. Jimi wollte bei seinen späten Shows nicht mehr wie der Leibhaftige abgehen, er war dessen überdrüssig geworden. Aber sein Manager Mike Jeffery war dagegen. Doch Jimi ließ sich nicht beirren und trennte sich von Jeffery. Deshalb bat er mich, Produzent Chas Chandler wieder ins Boot zu holen. Er wollte neue Wege gehen. Eine Woche später war Jimi tot.